Konzert Vorschau / Story 06/94
"Melancholische Pop-Perlen für ein ernsteres Publikum" (Titel)
"Augustiner Band 'Midas Factory' tritt heute bei 'R(h)einkultur auf - Eröffnungstitel ein Ohrwurm -
'Positives Lebensgefühl'" (Untertitel)
"Sankt Augustin. Düster, melancholisch, depressiv, oder sterbenssehnsüchtig: Mit solchen Attributen wird für
gewöhnlich Independentmusik bezeichnet, wenn mit diesem Begriff die Sparte "Dark Wave gemeint ist. Solche
Klischees sind zumindest einer deutschen Band verhaßt: "Midas Fcatory" aus Sankt Augustin.
'Düster und sehnsüchtig, oder so was, soll unsere Musik sein', erklärt Martin Groß Sänger und Gitarrist von 'Midas Factory', 'auf jeden Fall stand
das im Info zur R(h)einkultur. Aber für mich vermittelt unsere Musik durchaus ein positives Lebensgefühl.'
Und ein ebensolches Lebensgefühl braucht man wohl, wenn am heutigen Samstag auf dem Bonner Open-Air-Rockereignis
vor einigen tausend Besuchern spielen wird. Dem größten Publikum der Bandgeschichte blicken Martin, wie auch
seine Mitstreiter Guido Krebs (Baß), Constanze Franken (Tasten), Frank Meerbothe (Leadgitarre) und Christoph
Melder (Schlagzeug) allerdings gelassen entgegen.
Sicher und routiniert wird das 40minütige Set im Proberaum an der Heerstraße durchgespielt. Ein paar kleine, nur
für 'Midas Factory' selbst merkliche Fehler, schleichen sich zwar ein, aber schließlich 'spielen wir seit zwei
Wochen zum ersten Mal und dazu in kompletter Besetzung'. Bassist Guido zeigt sich zufrieden.
Hörbar werden bei 'Midas Factory' britische Wavetraditionen der frühen achtziger Jahre gepflegt. Namen wie
'The Cure', 'Joy Division' oder 'Sisters of Mercy' fallen einem zu der Musik des Quintetts ein. Ein Autoaufkleber
'And also the Trees 'kündet von der 'besten Band überhaupt', wie Martin Groß die Briten bezeichnet, deren Name seinen
Wagen ziert. Die Augustiner spielen allerdings schon zu lange zusammen, um einfach nur Nachahmer der Düsterpopper zu sein.
Die Musik der Band verrät auch eher die völlig unterschiedlichen Geschmacksvorlieben der einzelnen Musiker, als ein
pures Epigonentum. Gitarrist Frank kommt 'eher vom Garagenpunk', Keyboarderin Conny, 'von der Klassik' und Drummer
Christoph 'mehr von den Sechzigern, Grateful Dead und so.' Stilmerkmal bei 'Midas Factory' ist eine generelle
'Knackigkeit' der Instrumente, ein transparenter Sound, in dem jeder einzelne Musiker hörbar bleibt.
Seit 1988, damals noch unter dem Namen 'The Geld', gibt es die Gruppe. Zeitweise schrumpften 'Midas Factory' auf ein
Gitarrenduo plus Drumcomputer zusammen, dann fanden sie nach und nach zu der aktuellen Besetzung. Letzter Neuzugang
ist Christoph, der durch sein vertracktes, groovendes Schlagzeug vor einem halben Jahr einen neuen Akzent gesetzt hat.
Eines Haben die Augustiner mit ihren Genrekollegen von der Insel gemeinsam: 'Midas Factory' spielen auf hohem musikalischen
Niveau und ausgesprochen professionell. Hörbarer Beweis: Die neue CD '...violet thoughts'. Man fragt sich unwillkürlich,
wie eine selbstproduzierte Scheibe eine solche Qualität haben kann, was man übrigens von den ersten 'The Cure'-Platten
nicht behaupten kann. Ganz einfach: Über Mixer Tom Bratka haben 'Midas Factory' eine 'Polen-Connection'.
'Für 8000 Mark Preß- und Freßkosten', also Aufnahme und Logis inklusive, erinnert sich Gitarrist Frank, entstand die
Auflage von 500 Stück in einem Studio im masurischen Olsztyn. Polen als 'Billigsoundland'? 'Der Toningenieur, den
wir hatten, nimmt normalerweise Symphonieorchester auf, der hat das perfekte musikalische Gehör', erinnert sich
Martin begeistert. 'Solche Leute sind bei uns einfach nicht zu bezahlen.'
Hier waren 'Midas Factory' übrigens völlig unabhängig von Plattenfirmen oder Gema: Alles wurde selbst finanziert,
das Cover entstand auf dem Computer des Bassisten. Die CD war auch überfällig. Songs wie 'Words', 'Necrophelia'
stammen noch aus dem Jahre 1991 und mußten dringend für die Nachwelt erhalten werden. Neuere Stücke wie 'The mind
sets the controls', 'Planets' oder 'Dreams of a mountain' sind jüngeren Datums und keineswegs düsterer Klangmatsch
für gelangweilte Waver in schwarzen Klamotten, sondern eher Pop-Perlen für ein ernsteres Publikum. Gutelaunemusik
zum Spülen oder Cabriofahren sollte man von den fünf aber auch nicht erwarten.
Bassist Guido: 'Wie die Leute mit der melancholischen Grundstimmung unserer Musik umgehen, ist letztlich ihre Sache.
Und Martin, zuständig für die Texte, erklärt, daß er bei 'Colours' improvisiert. 'Live weiß ich vorher nicht, was ich
im Schlußteil singen werde, gehe völlig in der Stimmung des Songs auf.' Guido weiß zumindest, daß er um 12.45 Uhr
mit den Baßtönen von 'The Edge' das R(h)einkultur-Konzert der Band eröffnen wird. Und diese Baßlinie ist ein
Ohrwurm, dem jeder im Ohr behält, der 'Midas Factory' einmal live gesehen hat.
Die Gruppe sucht übrigens einen Vertrieb für ihre Aufnahmen und bald auch einen neuen Proberaum. Bandkontakt:
Guido Krebs unter 02241/83370 und Martin Groß unter 02242/84331."
General-Anzeiger, Bonn 25.6.94
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